Herzlich Willkommen zum fünften Teil unserer Kapellmann Blogreihe „Wasserstoff aktuell“. Heute bereiten wir Ihnen einen Einstieg in das weite Feld des EU-Beihilferechts. Denn wo Wasserstoff vom Staat gefördert wird, kann schnell die Europäische Kommission ins Spiel kommen.
Blogreihe "Wasserstoff aktuell": Beihilferechtliche Grundlagen zur Förderung von Gewinnung, Transport und Verwendung von Wasserstoff
28. February 2022
1. Wie können Vorhaben im Bereich Wasserstoff gefördert werden?
Gewinnung, Transport und Verwendung von Wasserstoff können verschiedentlich gefördert werden:
- Bereitstellung von staatlichen Mitteln, z.B. direkten Zuschüssen, Darlehen, Garantien, Beteiligungen am Kapital von Unternehmen sowie Sachleistungen;
- Verzicht auf staatliche Einnahmen, z.B. durch Steuer- und Abgabenbefreiungen oder –ermäßigungen;
- Förderungen durch die EU.
Egal ob Bereitstellung von Mitteln oder Verzicht auf Einnahmen durch den Staat: beide Formen der Begünstigung unterfallen dem Begriff der staatlichen Beihilfen. Dabei kann eine staatliche Förderung von unterschiedlichen Ebenen ausgehen: Bund, Länder und Kommunen können jeweils mit den ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln dasselbe Vorhaben fördern.
Beispiel: Wenn in einem Gewerbepark ein Wasserstoffspeicher errichtet werden soll, dann kann dies parallel aus Bundes-, Landes- und kommunalen Mitteln gefördert werden. Wichtig ist hierbei jedoch, dass keine Überkompensation erfolgt (
Das Beihilferecht ist jedoch nur für Fördermaßnahmen der Mitgliedstaaten anwendbar. EU-Fördermittel unterfallen daher nicht dem Beihilfebegriff nach Art. 107 Abs. 1 AEUV, wenn sie von den EU-Organen gewährt werden.
Die Förderung im Rahmen eines IPCEI („Important Project of Common European Interest“) unterfällt auch dem Beihilfebegriff. Denn es sind die Mitgliedstaaten, die im Rahmen eines IPCEI die Fördermittel zur Verfügung stellen (mehr Informationen zum IPCEI finden Sie hier ).
Beispiel: Dem IPCEI-Verfahren für Wasserstoff-Vorhaben haben sich 22 EU-Mitgliedstaaten und Norwegen angeschlossen. Bislang hat die Kommission die Förderungen im Rahmen des Projekts nicht beihilferechtlich genehmigt (Stand: 28.02.2022).
2. Welche Rolle hat die Europäische Kommission bei staatlichen Förderprogrammen?
Beihilfen sind nach dem EU-Beihilferecht grundsätzlich bei der Kommission anzumelden (sog. Notifizierungspflicht, Art. 108 Abs. 3 Satz 1 AEUV). Solange eine anmeldepflichtige Beihilfe nicht von der Kommission genehmigt wurde, darf sie nicht ausgezahlt werden (sog. Durchführungsverbot, Art. 108 Abs. 3 Satz 3 AEUV). Dies soll gewährleisten, dass die Wirkungen der Beihilfe nicht eintreten, bevor die Kommission diese prüfen konnte.
Beispiel: Die Gestaltung der EEG-Umlage ist wiederholt Gegenstand von Notifizierungsverfahren bei der Kommission. So ist die Regelung des § 69b EEG 2021 bislang noch nicht von der Kommission freigegeben worden (wir berichteten).
3. Müssen alle Projekte zur Förderung der Ziele der Wasserstoff-Strategie von der Europäischen Kommission genehmigt werden?
Von der Notifizierung ausgenommen sind zunächst sog. De-minimis-Beihilfen, also geringfügige Beihilfen. Der Höchstbetrag beläuft sich auf 200.000 € pro Unternehmen für einen Zeitraum von drei Jahren.
Von der Notifizierung ausgenommen sind ferner sog. freigestellte Beihilfen. Diese ergeben sich aus der Allgemeinen Gruppenfreistellungsverordnung, kurz „AGVO“ (Verordnung (EU) 651/2014, EU-Amtsblatt L 187 vom 26.06.2014, S. 1-78). Die Kommission hat für einige Typen von Beihilfen („Gruppen“) festgestellt, dass diese regelmäßig keine wettbewerblichen Bedenken aufwerfen. Daher sieht die Kommission hinsichtlich dieser Gruppen kein Bedürfnis für eine Einzelfallprüfung und hat sie von der Notifizierung befreit. Die Mitgliedstaaten haben lediglich Melde- und Berichtspflichten. Für Beihilfeempfänger bedeutet das eine erhebliche Beschleunigung des Verfahrens für die Bewilligung der Förderung.
Beispiel: Nach Art. 36a AGVO sind Beihilfen für den Aufbau der Lade- oder Tankinfrastruktur für die Energieversorgung von Fahrzeugen mit erneuerbarem Wasserstoff (durch Elektrolyse hergestellter, sog. „grüner Wasserstoff“) für Verkehrszwecke freigestellt. Jedoch müssen hierfür besondere Anforderungen erfüllt werden. Beispielsweise muss sichergestellt sein, dass erneuerbarer Wasserstoff während der gesamten wirtschaftlichen Lebensdauer der Infrastruktur bereitgestellt wird.
Die unter die AGVO fallenden Beihilfetypen und die konkreten Freistellungsbedingungen können sich ändern. Die Kommission überarbeitet zurzeit die Freistellungstatbestände im Lichte des Green Deal und Änderungen für den Wasserstoffsektor zeichnen sich bereits ab.
Beispiel: Der aktuelle Reformentwurf sieht vor, in Art. 36b AGVO eine neue Freistellung für Investitionsbeihilfen für den Erwerb sauberer oder emissionsfreier Fahrzeuge und die Nachrüstung von Fahrzeugen, welche zumindest teilweise mit Wasserstoff betrieben werden, zu schaffen. Im Zuge dessen soll auch der Begriff des „CO2-armen Wasserstoffs“, der bislang rechtlich unbestimmt ist, definiert werden.
Ferner müssen solche Beihilfen nicht notifiziert werden, welche im Rahmen einer Beihilferegelung gewährt werden, welche ihrerseits zuvor entweder von der Kommission freigegeben wurde oder einem AGVO-Freistellungstatbestand unterfällt.
Beispiel: Richtlinie zur Förderung von Forschungs-, Entwicklungs- und Investitionsprojekten mit dem Ziel der Treibhausgasneutralität im Industriesektor (Förderrichtlinie zur Dekarbonisierung in der Industrie, Bundesanzeiger AT 15.01.2021, S. 1-6). Wird eine Beihilfe im Einklang mit den in dieser Förderrichtlinie festgesetzten Voraussetzungen gewährt, muss diese Beihilfe nicht notifiziert werden.
4. Welche Bedeutung haben die sog. KUEBLL / CEEAG?
Wichtiges rechtliches Instrument im Beihilferecht sind ferner die sektorbezogenen Leitlinien. Dazu zählen die Leitlinien für staatliche Klima-, Umweltschutz- und Energiebeihilfen 2022, kurz KUEBLL oder im englischen Kürzel CEEAG, welche am 27. Januar 2022 in Kraft getreten sind
(wir berichteten).
Leitlinien haben zwar nur eine indirekte Rechtswirkung („soft law“). In der Praxis sind sie jedoch von großer Bedeutung, da sie die Vorgehensweise der Kommission bestimmen („ermessenslenkende Verwaltungsvorschrift“) und damit einen Beitrag zur Rechtssicherheit leisten.
Wasserstoffgewinnung, -transport und -verwendung werden in den CEEAG an mehreren Stellen behandelt:
- Beihilfen für die Erzeugung von erneuerbarem Wasserstoff (durch Elektrolyse hergestellter, sog. „grüner Wasserstoff“) und für die Erzeugung von CO2-armem Wasserstoff können auf Grundlage des Abschnitts 4.1 geprüft werden (CEEAG, Ziff. 82 und 87).
- Beihilfen für Maßnahmen in Bezug auf Lade- oder Tankinfrastruktur können auf Grundlage des Abschnitts 4.3 geprüft werden (CEEAG, Ziff. 193).
- Beihilfen für die Verbesserung der Energieinfrastruktur, wovon auch bestimmte Wasserstoffausrüstungen und -anlagen erfasst werden, können auf Grundlage des Abschnitts 4.9 geprüft werden (CEEAG, Ziff. 376).
- Beihilfen für gewidmete Wasserstoffinfrastrukturen, die nicht unter den Begriff der „Energieinfrastruktur“ fallen, können auf Grundlage des Abschnitts 4.1 geprüft werden (CEEAG, Ziff. 84).
- Beihilfen in Form einer Ermäßigung von Steuern oder steuerähnlichen Abgaben können auf Grundlage des Abschnitts 4.7 geprüft werden (CEEAG, Ziff. 292).
Je nach Vorhabentyp wird sehr detailliert beschrieben, welche Anforderungen („Beihilfefähigkeit“) ein Vorhaben erfüllen muss und wie sichergestellt werden soll, dass die Beihilfe einerseits die Entwicklung dieses Wirtschaftszweigs fördert und andererseits die Handelsbedingungen zwischen den Mitgliedstaaten nicht in einer Weise verändert werden, die dem gemeinsamen Interesse zuwiderlaufen.
Beispiel: Eine der Anforderungen, die eine Beihilfe für den Bau, die Installation, die Modernisierung oder die Erweiterung von Anlagen zur Erzeugung von Wasserstoff erfüllen sollte, lautet: Die nominale Produktionskapazität soll in einem angemessenen Verhältnis zur Nennleistung oder zur Lade- bzw. Betankungskapazität der Lade- bzw. Tankinfrastruktur stehen, an die sie angeschlossen ist (CEEAG, Ziff. 193).
Im Grundsatz ist eine Förderung aus verschiedenen Fördertöpfen für ein Vorhaben möglich – manchmal sogar, wenn sich die Förderung auf die gleichen Kosten bezieht. Eine harte Grenze bildet jedoch stets das Verbot der Überkompensation des Beihilfeempfängers. Dies bedeutet, dass die Gesamtförderung nicht über die förderfähigen Kosten hinausgehen darf.
Aus der AGVO und den CEEAG ergeben sich je nach Anwendungsfall weitere Kumulierungsverbote und Anrechnungsgebote. Außerdem müssen die Höchstgrenzen eingehalten werden, die für den jeweiligen Fördergegenstand gelten.
Eine Sonderstellung nehmen häufig die Förderungen aus EU-Mitteln ein. Da diese keine staatlichen Beihilfen darstellen, müssen sie im Rahmen der AGVO und der CEEAG grundsätzlich nicht bei der Kumulierung berücksichtigt werden. Trotzdem ist hier eine Überkompensation zu vermeiden.
Beschränkungen können sich schließlich auch aus Förderrichtlinien der Fördermittelgeber ergeben.
Beispiel: Die Förderrichtlinien können vorsehen, dass bei einer parallelen Förderung durch EU- und Bundesmittel die Förderung des Bundes anteilig gekürzt wird.
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Die Beihilferechtspraxis ist v. a. auf Infrastrukturprojekte mit Bezug zum Baurecht spezialisiert, wo sie zu den Marktführern zählt. Eng angebunden an die Kartellrechtspraxis ist sie zudem gut in Brüssel und bei deutschen Behörden vernetzt. Erfahrung gibt es auch mit dem Thema Sport und Sportstätten.
JUVE Handbuch 2021/22