Die Europäische Kommission hatte sich am 09. März 2023 einen neuen Befristeten Krisen- und Transformationsrahmen gegeben (siehe unser Blogpost). Einige dieser Regelungen wären planmäßig zum Jahresende ausgelaufen.
Die Kommission hat am 20.11.2023 bekannt gegeben (Pressemeldung ), welche Regelungen verlängert werden. Wir geben einen Überblick über die Änderungen.
1. Welche Rolle spielt der Befristete Krisen- und Transformationsrahmen?
In dem Befristeten Krisen- und Transformationsrahmen (Temporary Crisis and Transition Framework – TCTF) legt die Europäische Kommission Kriterien fest, anhand derer sie Beihilfemaßnahmen der Mitgliedstaaten prüft. Der TCTF ist auf zwei Ereignisse zurückzuführen: Mit der Verkündung des EU Green Deals im Dezember 2019 hat sich die Kommission ambitionierte Ziele für die Senkung von Treibhausgasemissionen gesetzt. Zudem hat der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine die EU gezwungen, ihre Abhängigkeit von vor allem aus Russland importierten fossilen Energieträgern zu reduzieren.
Die Kommission gibt mit dem TCTF einen Rahmen vor, aus dem sich beihilferechtlich zulässige Maßnahmen zur Reduzierung der Auswirkungen des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine und Instrumente zur Beschleunigung von Investitionen in Schlüsselsektoren für den Übergang zu einer klimaneutralen Wirtschaft ergeben.
Für diese Zwecke gibt sie für acht typische Beihilfemaßnahmen den Mitgliedstaaten einen Kriterienkatalog an die Hand. Werden die Kriterien in den Abschnitten 2.1 bis 2.8 des TCTF von den Mitgliedstaaten erfüllt, können sie davon ausgehen, dass die Europäische Kommission die Beihilfe genehmigen wird. Erst danach dürfen die Mitgliedstaaten die Beihilfen gewähren.
2. Welche Regelungen laufen am 31. Dezember 2023 aus?
Die Kommission ist der Auffassung, dass die auf Art. 107 Abs. 3 lit. b AEUV basierenden Maßnahmen zur Behebung einer beträchtlichen Störung nicht mehr erforderlich sind. Daher laufen die Regelungen betreffend drei Maßnahmentypen wie geplant zum Jahresende aus:
- Liquiditätshilfen in Form von Garantien (Abschnitt 2.2): Ermöglichung der Gewährung staatlicher Darlehensgarantien von über 90 % in einem befristeten Zeitraum und für begrenzte Darlehensbeträge.
- Liquiditätshilfen in Form zinsvergünstigter Darlehen (Abschnitt 2.3): Ermöglichung der Gewährung staatlicher Zinszuschüsse in einem befristeten Zeitraum und für begrenzte Darlehensbeträge.
- Beihilfen für die zusätzliche Senkung des Stromverbrauchs (Abschnitt 2.7): Gewährung eines finanziellen Ausgleichs für zusätzliche Stromeinsparungen.
3. Welche Regelungen hat die Kommission verlängert?
Zugleich stellt die Kommission im Lichte des niedriger als erwartet ausfallenden Wirtschaftswachstums in der EU fest, dass der Angriffskrieg Russlands und die damit verbundenen Auswirkungen und Gegenmaßnahmen nach wie vor Risiken und Unsicherheiten für den Binnenmarkt mit sich bringen. Auch vor dem Hintergrund der jüngsten Entwicklungen im Nahen Osten sieht die Kommission die Energiemärkte weiterhin als fragil an. Daher werden zwei Maßnahmen um sechs Monate bis zum 30. Juni 2024 verlängert:
- Begrenzte Beihilfebeträge (Abschnitt 2.1): Mitgliedstaaten dürfen von der Krise betroffenen Unternehmen Beihilfen gewähren, solange eine Obergrenze für die Gesamtbeihilfe je Unternehmen je Mitgliedstaat eingehalten wird. Diese Beihilfehöchstbeträge wurden nun erhöht: von 250 000 EUR auf 280 000 EUR für die Landwirtschaft, von 300 000 EUR auf 335 000 EUR für Fischerei und Aquakultur und von 2 Mio. EUR auf 2,25 Mio. EUR für alle anderen Sektoren.
Unverändert können Maßnahmen, die auf der Grundlage des Rahmens in Form von rückzahlbaren Vorschüssen, Garantien, Darlehen oder anderen rückzahlbaren Instrumenten gewährt wurden, in andere Beihilfeformen wie Zuschüsse umgewandelt werden, sofern die Umwandlung spätestens am 30. Juni 2024 erfolgt.
- Beihilfen für Mehrkosten aufgrund des außergewöhnlich starken Anstiegs der Erdgas- und Strompreise (Abschnitt 2.4): Diese Regelung betrifft speziell die gestiegenen Energiekosten. Die Unterstützung kann Unternehmen auf der Grundlage ihres aktuellen oder früheren Energieverbrauchs gewährt werden, wobei einschränkend hinreichende Anreize zur Energieeinsparung gesetzt werden sollen.
Mit der Verlängerung um sechs – anstatt der zunächst vorgeschlagenen drei – Monate geht die Kommission einen Schritt auf die Mitgliedstaaten zu. Vor allem Deutschland und Frankreich hatten die Verlängerung gefordert, andere, wie beispielsweise die Niederlande, sie als wettbewerbsverzerrend abgelehnt. Wohl vor diesem Hintergrund signalisiert die Kommission, dass dies nun die letzte Verlängerung war.
Die Kommission hebt zudem hervor, dass die Verlängerung dazu dienen soll, bereits bestehende Förderprogramme fortzusetzen und zum Abschluss zu bringen. Bei der Einführung neuer Unterstützungsmaßnahmen will sie ein besonderes Augenmerk darauf legen, ob die geförderten Unternehmen tatsächlich von den Auswirkungen des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine betroffen sind.
4. Was hat die Europäische Kommission darüber hinaus beschlossen?
Die sonstigen Regelungen blieben unverändert. Dies betrifft:
- Beihilfen zur Beschleunigung des Ausbaus der erneuerbaren Energien und der Energiespeicherung mit Blick auf REPowerEU (Abschnitt 2.5)
- Beihilfen für die Dekarbonisierung industrieller Produktionsprozesse durch Elektrifizierung und/oder Nutzung von bestimmte Voraussetzungen erfüllendem erneuerbarem und strombasiertem Wasserstoff sowie für Energieeffizienzmaßnahmen (Abschnitt 2.6)
- Beihilfen für die Beschleunigung von Investitionen in Sektoren, die für den Übergang zu einer klimaneutralen Wirtschaft von strategischer Bedeutung sind (Abschnitt 2.8)
Insbesondere hinsichtlich des Abschnitts 2.8 bestanden Hoffnungen auf Klarstellungen oder Ausweitungen. Denn die darin getroffene Regelung soll dem US-amerikanischen Inflation Reduction Act (IRA) vom Sommer 2022 die Stirn bieten und verhindern, dass die für die Umsetzung der Ziele des Green Deal erforderlichen Unternehmen ihre Produktionsstätten in die USA verlagern. Die Kommission scheint sich in dieser Hinsicht nicht von ihrer Strategie abbringen zu lassen.
Schließlich hat die Kommission davon abgesehen, Regelungen für neue Maßnahmen einzuführen.
5. Welcher Zeithorizont gilt nun für die verschiedenen Regelungen?
Zusammenfassend ergibt sich für die verschiedenen im TCTF vorgesehenen Maßnahmen folgendes Bild:
(*) Die zusätzliche Verbrauchssenkung muss bis zum 31. Dezember 2023 erfolgen.
6. Was folgt daraus für die Förderung der Transformation in Deutschland?
Deutschland hat die Möglichkeiten des TCTF mit verschiedenen Beihilferegelungen und Einzelbeihilfen genutzt. Die Zukunft dieser Förderprogramme dürfte maßgeblich davon abhängen, wie die Bundesregierung mit den Auswirkungen des Bundesverfassungsgerichts zum Klima- und Transformationsfonds (Urteil vom 15.11.2023, Az. 2 BvF 1/22, Pressemitteilung des Bundesverfassungsgerichts) umgeht, weil dadurch die für die Umsetzung erforderlichen finanziellen Spielräume in Frage stehen.
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