Bereits im Mai 2019 urteilte der EUGH und nahm die Mitgliedsstaaten in die Pflicht, Systeme zur Arbeitszeiterfassung einzuführen. Jetzt hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) in einem Grundsatzurteil klargestellt, dass eine generelle Pflicht besteht, die Arbeitszeit zu erfassen. Die Details fassen wir in unserer Praxisinfo für Sie zusammen.
Praxisinfo Arbeitsrecht: Arbeitszeiterfassung in Unternehmen - Was bedeutet das Urteil des BAG?
22. September 2022
BAG: Die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung in Unternehmen
Arbeitgeber in Deutschland sind verpflichtet, die Arbeitszeiten ihrer Mitarbeiter zu erfassen. Diese Verpflichtung ergibt sich unmittelbar aus dem Arbeitsschutzgesetz. Das hat das Bundesarbeitsgericht in seiner aktuellen Entscheidung hervorgehoben, die weitreichende Folgen für alle Arbeitnehmer und Unternehmen in Deutschland haben dürfte. In dem nun entschiedenen Fall ging es um die Reichweite der Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats.
Dem gerichtlichen Ausgangsfall lag ein Streit zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber einer vollstationären Wohneinrichtung zugrunde. Nachdem der Arbeitgeber zunächst eine Zeiterfassung für seine Arbeitnehmer einführen wollte und mit dem Betriebsrat verhandelte, brach der Arbeitgeber im weiteren Verlauf die Verhandlungen wieder ab. Der Betriebsrat war mit dem ergebnislosen Abbruch jedoch nicht einverstanden und bestand auf der Einführung der Zeiterfassung. Diese wollte er nun gerichtlich gegen den Willen des Arbeitgebers durchsetzen.
In rechtlicher Hinsicht war Einstieg in die Thematik ein Streit über die Reichweite der Beteiligungsrechte des Betriebsrats. Das Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) gibt Betriebsräten ein thematisch abgestuftes System zur Mitbestimmung. Nach diesem kann ein Betriebsrat u. a. bei der konkreten Ausgestaltung technischer Überwachungseinrichtungen mitbestimmen (§ 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG). Die Einführung eines elektronischen Systems zur Arbeitszeiterfassung durch eine solche Einrichtung stellt mithin ein Gebiet dar, in welchem dem Betriebsrat originäre Mitbestimmungsrechte zustehen. Allerdings galt nach einer Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) aus dem Jahr 1989 (Beschl. v. 28.11.1989, Az.: 1 ABR 97/88) bisher, dass der Betriebsrat nur bei der Gestaltung eines solchen Systems (also dem „Wie“) mitbestimmen darf. Nach bisheriger Rechtsprechung gab es mithin kein Recht der Betriebsräte, die Einführung eines solchen Systems eigenständig zu bestimmen (also das „Ob“). Damals nahm das BAG darüber hinaus auch keine gesetzliche Verpflichtung zur Einführung eines solchen Systems an.
Das Bundesarbeitsgericht bewertet die Rechtslage in seiner neusten Entscheidung zum Thema jedoch nun grundlegend anders (Beschl. v. 13.09.2022, Az.: 1 ABR 22/21 = PM Nr. 35/22).
Ein solches Recht zur Einführung von einem System der Arbeitszeiterfassung könne den Betriebsräten zwar nur zustehen, wenn es keine entsprechende gesetzliche Regelung darüber gibt. Das Arbeitsschutzgesetz verpflichte indes in § 3 den Arbeitgeber unmittelbar, die erforderlichen organisatorischen Maßnahmen zum Schutz der Gesundheit der Beschäftigten zu treffen. Dazu gehören nach Ansicht des BAG nun auch die Aufzeichnungen der Arbeitszeiten im Wege des wirksamen und umfassenden Gesundheitsschutzes. Demnach seien die Unternehmen bereits nach der geltenden Rechtslage verpflichtet, die Arbeitszeiten ihrer Beschäftigten in geeigneter Weise zu erfassen. Infolgedessen bedürfe es keines Initiativrechts der Betriebsräte – auch wenn die Verneinung eines Initiativrechts für den Betriebsrat natürlich ein Pyrrhussieg für den Arbeitgeber war.
In diesem Zusammenhang verwies das BAG auch auf das sogenannte „Stechuhr-Urteil“ des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) aus dem Jahr 2019 (v. 14.5.2019, Az.: C-55/18). Mit dieser Entscheidung hatte der EuGH entschieden, dass das europäische Arbeitszeitrecht die Einführung eines Systems zur objektiven Erfassung der Arbeitszeit verlangt. Diese Entscheidung hat der deutsche Gesetzgeber jedoch noch nicht in nationales Recht umgesetzt.
Handlungsempfehlung
Für die Praxis der deutschen Unternehmen könnte diese Entscheidung weitreichende Folgen haben. Für Aktionismus ist es jedoch zu früh: Die Entscheidungsgründe des Urteils hat das BAG noch nicht veröffentlicht - wie ein solches passendes System aussehen soll und wie „allgemeingültig“ sich das BAG äußert, bleibt also abzuwarten.
Schon jetzt sinnvoll ist aber: Setzen Sie sich in Ruhe – und gerne auch mit unserer Expertise – mit den verschiedenen Möglichkeiten zur effizienten Arbeitszeiterfassung im eigenen Betrieb auseinander. Mit der Veröffentlichung der Entscheidungsgründe werden wir dann gemeinsam konkrete Handlungsoptionen entwickeln können.
Als Ansprechpartner stehen wir Ihnen selbstverständlich jederzeit gerne zur Seite.
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