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Ende vom Ende der Urkalkulation?

20. September 2022

Im Jahr 2019 hatte der BGH mit seiner Entscheidung zu § 2 Abs. 3 VOB/B einen Paukenschlag getätigt. Danach enthält die Regelung von § 2 Abs. 3 VOB/B bei Mengenmehrungen nach Meinung der Karlsruher Richter keine Aussage zur Vergütungsanpassung der Höhe nach. Fehlt eine entsprechende Vereinbarung, so ist die dann bestehende Lücke nach den gesetzlichen Vorschriften zu schließen, mithin nach der Regelung in § 650c BGB. Gemeinhin wird diese Entscheidung als das Ende der kalkulatorischen Berechnung angesehen, weil überwiegend erwartet wird, dass der BGH genauso zu dem diesbezüglich wortgleichen § 2 Abs. 5 VOB/B entscheiden wird. Die ersten OLG-Entscheidungen in diesem Sinne liegen bereits vor. Ist dies vielleicht verfrüht?

Die bahnbrechende Entscheidung des BGH aus dem Jahr 2019 sieht in der Formulierung von § 2 Abs. 3 Nr. 2 VOB/B

„2.  Für die über 10 v. H. hinausgehende Überschreitung des Mengenansatzes ist auf Verlangen ein neuer Preis unter Berücksichtigung der Mehr- oder Minderkosten zu vereinbaren."

keine Aussage zur Vergütungsanpassung der Höhe nach. Fehlt es daher an einer entsprechenden Vereinbarung, z. B. im Vertrag, so besteht eine vertragliche Lücke. Diese Lücke ist nach den Karlsruher Richtern so zu schließen, dass sich der neue Mehrmengen-Einheitspreis unter Berücksichtigung der tatsächlich erforderlichen Kosten zuzüglich angemessener Zuschläge ermittelt, also nach dem Preisregime des neuen Bauvertragsrechts gemäß § 650c BGB. Da der Wortlaut von § 2 Abs. 5 VOB/B diesbezüglich identisch ist,

„(5) 1Werden durch Änderung des Bauentwurfs oder andere Anordnungen des Auftraggebers die Grundlagen des Preises für eine im Vertrag vorgesehene Leistung geändert, so ist ein neuer Preis unter Berücksichtigung der Mehr- oder Minderkosten zu vereinbaren.“,

wird gemeinhin erwartet, dass der BGH seine Entscheidung aus 2019 auch auf diesen Paragrafen überträgt. Darin könnte das Ende der Fortschreibung der Urkalkulation liegen. Diese Erwartung ist sogar so groß, dass verschiedene OLG ihre Entscheidungen schon entsprechend formuliert haben und nur noch darauf gewartet wird, dass der BGH den richtigen Fall zur Entscheidung erhält. Aber Vorsicht: Totgesagte leben länger! Vielleicht preschen die OLG zu weit vor. Denn in der – soweit ersichtlich - wenig beachteten Entscheidung des BGH vom 23.03.2022 (VII ZR 191/21) finden sich interessante Anhaltspunkte, die Ausgangspunkt von Spekulationen sein müssen.

Inhaltlich ging es dort um ein Urteil des OLG Köln, das verzögerungsbedingte Ansprüche gemäß § 2 Abs. 5 VOB/B dem Grunde nach zusprach und dabei ergänzte, „…dass sich die Höhe der Ansprüche auf der Basis der tatsächlich erforderlichen Mehr- und Minderkosten entsprechend den Grundsätzen des § 650c BGB ermittelt…“.

Im Ergebnis setzte das OLG Köln also die erwartete Rechtsprechungsänderung bei § 2 Abs. 5 VOB/B direkt mit um. Die betroffene Partei war mit dem Grundurteil unzufrieden und rief den BGH an. Der bestätigte zwar das Grundurteil und verstimmte sicherlich die Beklagte. Interessant ist aber nicht dieser Aspekt, sondern der 2. Leitsatz des BGH, der dem Hinweis auf die tatsächlich erforderlichen Mehr - und Minderkosten eine Absage erteilt. Der Leitsatz lautet:

Ausführungen, die ausschließlich die Höhe des Anspruchs betreffen, sind in einem Grundurteil unzulässig und binden für das Betragsverfahren nicht (Anschluss an BGH, Beschluss vom 18. August 2016 - III ZR 325/15 Rn. 11, NJW-RR 2016, 1150; Urteil vom 24. September 2009 - IX ZR 87/08 Rn. 21, FamRZ 2009, 2075; Urteil vom 20. Dezember 2005 XI ZR 66/05, NJW-RR 2007, 138, juris Rn. 18).“

Der BGH stellt damit klar, dass jegliche Ausführungen, die die Höhe des Anspruchs betreffen, bei einem Grundurteil fehl am Platz sind und keine bindende Wirkung haben. Das ist prozessual natürlich alles richtig, aber überrascht in dieser Deutlichkeit dennoch, wenn man voraussetzt, dass der BGH seine Rechtsprechung von § 2 Abs. 3 tatsächlich auch auf § 2 Abs. 5 übertragen will. Dann hätte er diese Ausführungen einfach unkommentiert lassen können. Das tut er aber nicht, sondern wendet sich sogar explizit dagegen. Die Hintergründe werden sicherlich nicht aufzuklären sein, aber es stellt sich doch die Frage, warum er explizit auch noch ausführt, dass diese Auffassung bei der anstehenden Zurückverweisung an einen anderen Senat keine Bindungswirkung entfaltet. Gerade diese Spezifikation überrascht, wenn der BGH eigentlich der Meinung wäre, dass es in die „richtige Richtung" geht.

Ist das Kaffeesatzleserei oder gar juristische Haarspalterei? Mag sein, dennoch ist es doch immer wieder erstaunlich, wie viel in höchstrichterliche Urteile hinein oder nicht hinein gelesen werden kann. Und das bei Leuten (Juristen), die von sich gerade behaupten, immer eindeutige Formulierungen zu finden. Die Spekulationen dürften weitergehen! Eine Fortsetzung folgt bestimmt, nur wann? Es ist schade, dass es in den Fragen von Bauzeitverzögerungen und den daraus resultierenden Ansprüchen und Folgen noch immer nicht gelungen ist, Klarheit zu schaffen. Bedauerlich ist es, dass es sich um Fragen handelt, die eine der größten deutschen Branchen ganz essenziell treffen und die sich heutzutage in Zeiten von Preissteigerungen und Materialknappheit mehr denn je stellen.

Unsere Mitglieder des Kompetenzteams Wohnungsbau stehen Ihnen bei etwaigen Rückfragen zum Thema gerne zur Verfügung.

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