Der Klimawandel, seine Folgen und damit auch die Frage, wie dem Klimawandel entgegengewirkt werden kann, ist derzeit – zu Recht – eines der dominierenden Themen unserer Gesellschaft. Nicht zu bestreiten ist, dass der deutsche Beitrag zur Verhinderung einer Klimakatastrophe eine umfassende Dekarbonisierung unserer Wirtschaft und damit auch eine Energiewende in allen Sektoren voraussetzt. Der Ausbau erneuerbarer Energien wie Photovoltaik und Windenergie ist hierfür evident wichtig. Mehr landseitige Windenergieanlagen bedeuten allerdings auch mehr Berührungspunkte mit dem Artenschutzrecht. Durch Abstandsvorgaben der Länder werden Windenergieanlagen zum Teil gerade in solche Gebiete „gedrängt“, die Lebensräume verschiedener Vögel, Fledermäuse oder anderer geschützter Arten bereitstellen.
Das Zusammentreffen von Windenergie und Artenschutz birgt zahlreiche rechtliche Schwierigkeiten. Die wesentlichen Themenbereiche hierzu haben wir im Folgenden nochmals für Sie zusammengefasst.
1. Signifikanz-Theorie und gerichtliche Kontrolle im Artenschutzrecht
Zu den häufigsten Berührungspunkten von Artenschutz und Windenergie gehört die Frage der behördlichen Einschätzung zum signifikant erhöhten Tötungsrisiko und deren gerichtlichen Kontrollierbarkeit.
Gem. § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG ist es u.a. verboten, wild lebende Tiere der besonders geschützten Arten, wie etwa den Rot- oder Schwarzmilan, zu töten oder zu verletzen. Dem Wortlaut nach ist das Tötungs- und Verletzungsverbot damit individuenbezogen, sprich die Tötung auch nur eines einzelnen Exemplars ist verboten. Den Individuenbezug des Tötungsverbots hat der EuGH zuletzt erneut in seiner „Skydda-Entscheidung“ vom 4. März 2021 (verb. Rs. C-473/19 u. C-474/19) hervorgehoben. Vor dem Hintergrund, dass die Kollision einzelner Vögel mit einer Windenergieanlage nie vollständig ausgeschlossen werden kann, wird das Tötungsverbot von der Rechtsprechung dahingehend ausgelegt, dass dieses nur dann greift, wenn sich durch ein Vorhaben das Tötungsrisiko besonders geschützter Arten signifikant erhöht. Schließlich kann die Tötung einzelner Individuen auch innerhalb der natürlichen Abläufe, wie etwa als Beute anderer Arten, nicht vollständig ausgeschlossen werden. Wie der Wortlaut bereits indiziert, reicht es nicht aus, dass das Risiko durch die Errichtung einer Windenergieanlage lediglich erhöht wird. Vielmehr ist es nötig, dass dieses Risiko durch den Betrieb einer Windenergieanlage deutlich gesteigert wird (OVG Münster, Urteil vom 01.03.2021 – 8 A 1183/18, Rn. 114). Diese Rechtsprechung hat mittlerweile auch seinen Niederschlag im Gesetz, konkret in § 44 Abs. 5 S. 2 Nr. 1 BNatSchG, gefunden.
Dieses Verständnis des Tötungsverbots birgt allerdings eine entscheidende Unsicherheit: Wann genau liegt eine signifikante Erhöhung des Tötungsrisikos vor? Mit dieser Frage haben sich die Behörden in praktisch jedem Genehmigungsverfahren für Windenergieanlagen zu beschäftigen. Problematisch hierbei ist, dass es keine einhellige Fachmeinung darüber gibt, wie genau die Ermittlung und Bewertung des durch die geplante Anlage verursachten Tötungsrisikos zu erfolgen hat. Ebenso wenig ist diesbezüglich eine bestimmte Vorgehensweise gesetzlich normiert.
Dieses vom BVerfG betitelte „Erkenntnisvakuum“ wirkt sich weiter im gerichtlichen Verfahren auf den Prüfungsumfang des Gerichts aus. Bis vor kurzen wurde davon ausgegangen, dass den Behörden bezüglich der Erfassung des Bestands der geschützten Arten sowie der Bewertung der Gefahren, denen die Exemplare der geschützten Arten bei Realisierung des zur Genehmigung stehenden Vorhabens ausgesetzt sein würden, eine vom Gesetzgeber eingeräumte naturschutzfachliche Einschätzungsprärogative zukommt (vgl. BVerwG, Urteil v. 27.07.2013 – 4 C 1/12 – juris, Rn. 14). Demnach ist die naturschutzfachliche Einschätzung der Behörde zu der Frage, ob ein signifikant erhöhtes Tötungsrisiko vorliegt, durch die Gerichte nur begrenzt überprüfbar. Dem Gericht verbleibt die Prüfung, „ob im Gesamtergebnis die artenschutzrechtlichen Untersuchungen sowohl in ihrem methodischen Vorgehen als auch in ihrer Ermittlungstiefe ausreichten, um die Behörde in die Lage zu versetzen, die Voraussetzungen der artenschutzrechtlichen Verbotstatbestände sachgerecht zu überprüfen“ (BVerwG, Urteil v. 27.07.2013 – 4 C 1/12 – juris, Rn. 16). Um diesem Kontrollmaßstab standzuhalten, empfiehlt es sich, die naturschutzfachliche Bewertung im Rahmen des Genehmigungsverfahrens nach Vorgabe der jeweilig einschlägigen Leitlinien, wie etwa den Windenergieerlassen und den Arbeitshilfen zum Vogelschutz und Windenergienutzung, vorzunehmen.
Das Bundesverfassungsgericht hat sich in seinem sog. Rotmilan-Beschluss vom 23.10.2018 – 1 BvR 2523/13, 1 BvR 595/14 mit dieser Thematik befasst. Das Gericht lehnt darin die Einschränkung der gerichtlichen Kontrolle hinsichtlich der behördlichen Einschätzung aufgrund einer der Verwaltung durch den Gesetzgeber eingeräumten Einschätzungsprärogative ab, kommt aber mit der Begründung eines fachwissenschaftlichen „Erkenntnisvakuums“ aus Sicht des Rechtsschutzsuchenden zum gleichen Ergebnis (Rietzler, jurisPR-UmwR 1/2019 Anm. 1). Fehlt es in der naturschutzfachlichen Wissenschaft an allgemein anerkannten Maßstäben und Methoden, stößt die gerichtliche Überprüfbarkeit nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts an objektive Grenzen, ohne dass es für eine Rücknahme der gerichtlichen Kontrolldichte einer besonderen gesetzlichen Anordnung bedarf. Letztlich sei es einem Gericht nicht möglich, das Vorgehen der Behörde abschließend zu beurteilen, wenn sich schon die naturschutzfachliche Praxis nicht darüber einig ist, nach welchen Maßstäben die Erhöhung des Tötungsrisikos zu ermitteln ist (so zuletzt etwa OVG Lüneburg, Beschluss vom 24.09.2021 – 12 ME 45/21 – BeckRS 2021, 29373 Rn. 31). Der eingeschränkte Überprüfungsmaßstab der behördlichen Entscheidung greift jedoch nur solange und nur insoweit, als zu der naturschutzfachlichen Thematik tatsächlich keine einheitliche Fachmeinung gebildet hat. Das Gericht hat daher vorweg darüber zu entscheiden, ob in der aufgeworfenen Problematik in Fachkreisen Uneinheitlichkeit herrscht. Ist dies nicht der Fall, so ist die Entscheidung der Behörde anhand der einschlägigen Methodik voll überprüfbar. Im Übrigen hat das Gericht die behördliche Entscheidung lediglich auf Plausibilität zu überprüfen. Das Bundesverfassungsgericht hat zudem in seinem Rotmilan-Beschluss festgestellt, dass der Gesetzgeber der Verwaltung und den Gerichten nicht ohne weitere Maßgaben auf Dauer Entscheidungen in einem solche fachwissenschaftlichen „Erkenntnisvakuum“ übertragen kann. Er muss jedenfalls auf längere Sicht für eine zumindest untergesetzliche Maßstabsbildung sorgen. Es bleibt mithin abzuwarten, inwieweit und zu welchem Zeitpunkt der Gesetzgeber dieser Aufforderung nachkommen wird. Über den Erlass einer „TA Artenschutz“ wird in Fachkreisen bereits seit längerem diskutiert.
Das OVG Lüneburg hat in eben genannter Entscheidung festgestellt, dass die Gerichte im Rahmen der Überprüfung der Behördenentscheidung neben der Plausibilitätsprüfung auch zu berücksichtigen haben, ob und inwieweit sich die Genehmigungsbehörde aufgrund einer bestimmten Genehmigungspraxis selbst gebunden hat (OVG Lüneburg, Beschluss vom 24.09.2021 – 12 ME 45/21 – BeckRS 2021, 29373 Rn. 34). Eine solche Selbstbindung kann durch von der Verwaltung aufgestellte und zu beachtende Leitfäden entstehen, wie etwa den Leitfaden „Umsetzung des Artenschutzes bei der Planung und Genehmigung von Windenergieanlagen in Niedersachsen“, auf den sich die Entscheidung des OVG Lüneburg bezieht. Hiervon darf die Genehmigungsbehörde regelmäßig nur abweichen, wenn dies sachlich gerechtfertigt ist. Ähnlich verhält es sich mit der von der Umweltministerkonferenz am 11.12.2020 entwickelten Vollzugshilfe „Standardisierter Bewertungsrahmen zur Ermittlung einer signifikanten Erhöhung des Tötungsrisikos im Hinblick auf Brutvogelarten an Windenergieanlagen (WEA) an Land – Signifikanzrahmen“. Derartige Leitfäden und Vollzugshilfen sind im Rahmen der Beurteilung der Zulässigkeit von Windenergievorhaben grundsätzlich zu beachten und sollen den Vollzugsbehörden und den am Zulassungsverfahren beteiligten Personen ein rechtssicheres Vorgehen ermöglichen. Die Umweltministerkonferenz stellt für die Frage der signifikanten Erhöhung des Tötungsrisikos im Übrigen Regelvermutungen auf und legt fest, anhand welcher Arbeitsschritte eine Abweichung von der Regel begründbar ist. Der Signifikanzrahmen beschreibt allerdings keinen abschließenden Standardmaßstab. Vielmehr können die Länder hiervon abweichende Regelungen und ergänzende Prüfkategorien oder Kriterien festlegen.
2. Ausnahmemöglichkeiten im Artenschutzrecht
Gerade vor dem Hintergrund des weiten Anwendungsbereichs des Tötungsverbotes aus § 44 Abs. 1 BNatSchG rücken die diesbezüglichen Ausnahmemöglichkeiten gem. § 45 Abs. 7 S. 1 BNatSchG in den Fokus. Danach können die für Natur und Landschaftspflege zuständigen Behörden unter bestimmten Voraussetzungen von den Verboten des § 44 BNatSchG im Einzelfall Ausnahmen zulassen. Es ist mithin möglich, dass ein Vorhaben trotz Verstoß gegen das artenschutzrechtliche Tötungsverbot ausnahmsweise zugelassen werden kann. Im Hinblick auf Windenergievorhaben ist besonders § 45 Abs. 7 S. 1 Nr. 5 BNatSchG von Interesse, welcher die Möglichkeit einer Ausnahme aus anderen zwingenden Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses einschließlich solcher sozialer oder wirtschaftlicher Art normiert.
Windenergieanlagen und folglich die Bereitstellung entsprechender Flächen zur Verwirklichung dieser Projekte sind erforderlich, um die für den Klimaschutz immanent wichtigen Klimaschutzziele aus dem Pariser Klimaabkommen einzuhalten. Die Umweltereignisse der letzten Monate dürften vor Augen geführt haben, welche vernichtenden Auswirkungen der Klimawandel auch für den Menschen zeitigen kann. Laut dem Bericht des Weltklimarates macht der Klimawandel gerade Extremwetterereignisse deutlich wahrscheinlicher und häufiger. Die Erderwärmung auf das im Pariser Klimaabkommen festgesetzte Maß zu beschränken, steht allerdings nicht nur aus den gegenwärtig erfahrbaren, sondern auch aus den zu befürchtenden weiteren und unumkehrbaren Konsequenzen des Klimawandels im überwiegenden öffentlichen Interesse. Eine weitere Verschlechterung der klimatischen Verhältnisse kann allerdings nur mit dem Gelingen der Energiewende entgegengewirkt werden. Hierfür ist zwingend erforderlich, dass der Ausbau der Windenergie vorangetrieben wird und die EEG-Ausbauziele zügig erreicht werden. Wie im März diesen Jahres vom OVG Münster (Beschluss vom 12.03.2021 – 7 B 8/21 - ZUR 2021, 371) bestätigt, ist die Erteilung einer Ausnahme vom artenschutzrechtlichen Tötungsverbot für Windenergievorhaben gem. § 45 Abs. 7 S. 1 Nr. 5 BNatSchG folglich grundsätzlich zulässig, um damit das Erreichen der EEG-Ausbauziele zu fördern. Diese Möglichkeit muss von der Behörde von Amts wegen im Genehmigungsverfahren geprüft werden.
Anders als noch das VG Gießen (Urteil vom 22.01.2020 – 1 K 6019/18.GI – ZUR 2020, 430) ein Jahr zuvor führt das OVG Münster aus, dass der Ausnahmetatbestand auch dann greifen kann, wenn der Anwendungsbereich der Vogelschutzrichtlinie eröffnet ist, sprich wenn es um den Schutz europäischer Vogelarten, wie etwa den Rotmilan, geht. Gem. § 45 Abs. 7 S. 2 BNatSchG darf eine Ausnahme allerdings nur dann zugelassen werden, wenn zumutbare Alternativen nicht gegeben sind und sich der Erhaltungszustand der Population einer Art nicht verschlechtert, soweit nicht Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie 92/43/EWG weiter gehende Anforderungen enthält. Hier ist insbesondere problematisch, wie weit die Pflicht zur Alternativenprüfung geht. Unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsprinzips kann hiermit jedenfalls nicht gemeint sein, dass die Verwirklichung des Vorhabens auf einen beliebigen Ort im gesamten Bundesgebiet verwiesen werden kann.
Des Weiteren handelt es sich bei der Ausnahmeregelung um eine Ermessensvorschrift. Derzeit noch ungeklärt ist die Frage, ob es sich hierbei um ein intendiertes Ermessen handelt, welches die Erteilung der Ausnahme erleichtert. In seinem Beschluss vom 12. März 2021 geht das OVG Münster zwar erfreulicherweise von einem intendierten Ermessen aus – ob das Bundesverwaltungsgericht dieser Einschätzung folgen wird, bleibt jedoch abzuwarten.
3. Artenschutzrechtliche Abschaltbestimmungen als Nebenbestimmungen
Geht eine Behörde aufgrund ihrer fachwissenschaftlichen Einschätzung von einer signifikanten Erhöhung des Tötungsrisikos aus, hat dies nicht zwingend die Versagung der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung für eine Windenergieanlage zur Folge. Unter Umständen ist es möglich, das Tötungsrisiko durch Abschaltbestimmungen auf einem hinnehmbaren Niveau – d.h. unterhalb der Signifikanzschwelle – zu halten. Diese Möglichkeit besteht insbesondere dann, wenn sich die betroffenen Arten gerade zu einer bestimmten Zeit, etwa zur Brutzeit oder Mahd, im Bereich der Windenergieanlage aufhalten zu pflegen.
Zur Rechtsnatur dieser Abschaltbestimmungen hat das OVG Berlin-Brandenburg kürzlich seine Rechtsansicht geändert. Bis vor kurzem ging das Gericht davon aus, dass es sich bei diesen Bestimmungen um Inhaltsbestimmungen der Genehmigung handelt. Gegen solche konnte daher bislang nicht gesondert geklagt werden. Vielmehr musste Anlagenbetreiber Verpflichtungsklage erheben und auf Neubescheidung ohne zeitliche Beschränkung klagen.
Diese Einschätzung hat das OVG Berlin-Brandenburg in seinem Beschluss vom 19. Mai 2021 (Az. OVG 11 S 26/20) revidiert und in einem Genehmigungsbescheid enthaltene Abschaltzeiten als Nebenbestimmungen eingestuft. Danach sind Abschaltzeiten für Windenergieanlagen nun eigenständig und unabhängig von der eigentlichen Genehmigung mit einer Anfechtungsklage angreifbar. Zuvor hatte bereits das OVG Weimar (Beschluss vom 10. Februar 2015 – 1 EO 356/14 – BeckRS 2015, 51476 Rn. 27) im Februar 2015 entschieden, dass es sich in dem konkreten Fall bei Abschaltzeiten zu Gunsten des Fledermausschutzes um Nebenbestimmungen handelt.
Die Einstufung von Abschaltbestimmungen als Nebenbestimmung ist auch deshalb von Bedeutung, weil dadurch möglicherweise unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten der Erlass einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung unter Abschalt(neben)bestimmung einer vollständigen Ablehnung des Antrags wegen artenschutzrechtlicher Bedenken vorzugehen hat. Auch in dem oben genannten Beschluss des OVG Münster vom 12. März 2021 heißt es, dass die Versagung einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung grundsätzlich nicht mehr allein auf die Verletzung des Tötungsverbots (dort hinsichtlich Rotmilans) gestützt werden kann. Das Tötungsrisiko könne vielmehr durch (verschiedene) Abschaltbestimmungen unterhalb der Signifikanzschwelle gehalten und auf diese Weise die Genehmigungsfähigkeit der Anlage hergestellt werden. Die Möglichkeit der Verfügung von Abschaltanordnungen und anderer Vermeidungsmaßnahmen wird daher nun zunehmend auch von den Genehmigungsbehörden in den Blick zu nehmen sein.
Bei Fragen zum Thema Artenschutz und Windenergie sowie etwaigen Auswirkungen auf Ihr Vorhaben stehen Ihnen die Mitglieder der Praxisgruppe Öffentliches Recht gerne zur Verfügung.