Das Bundeskabinett hat am 14.09.2022 die vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz vorgelegte Formulierungshilfe für einen Gesetzesentwurf zur Änderung des Energiesicherungsgesetzes und anderer energiewirtschaftlicher Vorschriften beschlossen. Diese enthält auch Ergänzungen des Bundes-Immissionsschutzgesetzes. Das Ziel dieses Entwurfs ist es u.a., die Stromproduktion aus Erneuerbaren Energien kurzfristig zu erhöhen.
Diese weiteren Maßnahmen sind erforderlich, da sich die Lage auf den Energiemärkten durch den völkerrechtswidrigen Angriff Russlands auf die Ukraine drastisch verschärft hat.
Die Formulierungshilfe sieht u.a. Änderungen im Bundes-Immissionsschutzgesetz vor, die verfahrensrechtliche Erleichterungen bei Änderungen von Windenergieanlagen an Land beinhalten. Darüber hinaus sollen Abweichungen von bisherigen Vorgaben zu Schattenwurf und nächtlichen Geräuschwerten zugelassen werden können.
Die wesentlichen Inhalte dieser geplanten Gesetzesänderung haben wir im Folgenden für Sie zusammengefasst.
1. Verfahrensrechtliche Ergänzungen
Zunächst sieht die Formulierungshilfe eine Ergänzung des § 16b BImSchG um einen Absatz 7 und 8 vor. Die Norm regelt bislang das Verfahren und die Voraussetzungen des Repowering von Windenergieanlagen.
1.1 § 16b Abs. 7 BImSchG-E
§ 16b Abs. 7 BImSchG-E betrifft das Verfahren und den Prüfungsumfang bei Änderungen am Anlagentyp genehmigter Windenergieanlagen vor Errichtung.
Im Rahmen eines Änderungsgenehmigungsverfahrens in diesem Zusammenhang müssen nur dann Anforderungen geprüft werden, sofern durch die Änderung des Anlagentyps im Verhältnis zur genehmigten Anlage nachteilige Auswirkungen hervorgerufen werden und diese für die Prüfung nach § 6 erheblich sein können.
Die Regelung soll nach der Gesetzesbegründung in der Formulierungshilfe zunächst die Klarstellung beinhalten, dass solche Änderungen auch vor Errichtung der Anlage keiner Neugenehmigung bedürfen. Die Klarstellung ist sinnvoll: Die Rechtsprechung sieht eine Typenänderung zwar überwiegend als Änderung im Sinne des Bundes-Immissionsschutzrechts an und verlangt deswegen keine Neugenehmigung. Abweichend hiervon hält allerdings etwa das OVG Münster im Fall einer Typenänderung eine Neugenehmigung erforderlich (vgl. Urteil vom 25.02.2015 – 8 A 959/10 -, juris Rn. 113). Diese dürfte nach der Klarstellung nicht mehr möglich sein.
Keine Aussage trifft die Regelung für den Fall, dass die Änderung im Hinblick auf den Immissionsschutz keine nachteiligen Auswirkungen herrufen kann, die für die Prüfung nach § 6 Absatz 1 Nummer 1 BImSchG erheblich sein können. In diesem Fall bleibt es bei der bisherigen Rechtslage, wonach eine Typenänderung auch im Wege einer einfachen Änderungsanzeige nach § 15 BImSchG möglich ist.
(Wohl) nur für den Fall, dass ein Änderungsgenehmigungsverfahren durchführt wird – entweder weil das Vorhaben nachteilige Auswirkungen i.S.d. § 16 Abs. 1 BImSchG im Hinblick auf den Immissionsschutz haben kann oder weil ein Änderungsgenehmigungsverfahren nach § 16 Abs. 4 S. 2 BImSchG auf Antrag durchgeführt wird – ermöglicht die Regelung auch eine Reduzierung des Prüfprogramms im Hinblick auf die sonstigen öffentlich-rechtlichen Vorschriften und die Belange des Arbeitsschutzes (§ 6 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG). Dies ergibt sich aus dem Verweis auf das gesamte Prüfprogramm des § 6 BImSchG. Insoweit sollen nur dann Vorgaben der sonstigen Fachrechte geprüft werden, wenn durch die Änderung des Anlagentyps im Verhältnis zur genehmigten Anlage nachteilige Auswirkungen hervorgerufen werden. Wenn die geänderte Anlage zum Beispiel im Hinblick auf den Artenschutz im Vergleich zur bestehenden Anlage zu keiner weitergehenden Gefährdung führt, ist insoweit auch keine weitere Prüfung durch die Behörde veranlasst. Unbeachtlich wäre deswegen dann z.B. eine Änderung des Naturhaushalts nach Erteilung der Erstgenehmigung, da diese Nachteile bereits der zuerst genehmigten Anlage angehaftet hätten. Die Regelung führt damit das für das Repowering bereits in § 16b Abs. 1 BImSchG eingeführte sog. „Delta-Modell“ auch für Änderungen vor der Errichtung der Anlage fort. Unbeachtlich dürften dann auch Änderungen im Hinblick auf die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens sein, die nach Erteilung der Erstgenehmigung eingetreten sind und einer Neugenehmigung entgegenstünden. Denn auch insoweit würde die Änderung des Anlagentyps am gleichen Standort wohl nicht zu erheblichen Nachteilen führen, die über die Nachteile der bisher genehmigten Anlage hinausgehen.
1.2 § 16b Abs. 8 BImSchG-E
§ 16b Abs. 8 BImSchG-E befasst sich mit bereits errichteten Windenergieanlagen. Danach soll sich der Prüfungsumfang eines Änderungsgenehmigungsverfahrens aufgrund eines Einsatzes leistungssteigernder Softwareupdates von Windenergieanlagen auf die Standsicherheit der Anlage sowie die daraus resultierenden schädlichen Umwelteinwirkungen durch Geräusche und Turbulenzen beschränken. Weitere Belange, über deren Prüfungsrelevanz in Einzelfällen mitunter diskutiert wird, sollen ausdrücklich nicht mehr zu prüfen sein.
2. Abweichungen von Vorgaben zu nächtlichen Geräuschwerten und zur Vermeidung von Schattenwurf
Neben diesen verfahrensrechtlichen Neuerungen enthält die Formulierungshilfe in § 31k BImSchG-E die Möglichkeit der Behörde, auf Antrag Abweichungen von Vorgaben zu nächtlichen Geräuschwerten und zu Vermeidung von Schattenwurf bei Windenergieanlagen zuzulassen.
2.1 Voraussetzungen
2.1.1 Ernste und erhebliche Gasmangellage
Grundvoraussetzung für eine solche Abweichung ist gem. § 31k Abs. 1 BImSchG-E das Vorliegen einer ernsten und erheblichen Gasmangellage.
Nach der Gesetzesbegründung in der Formulierungshilfe ist durch die erfolgte Ausrufung der Alarmstufe am 23.06.2022 nach dem Notfallplan Gas vom Vorliegen einer ernsten und erheblichen Gasmangellage auszugehen. Ein erneuter Nachweis diesbezüglich ist vom Anlagenbetreiber nicht vorzulegen.
2.1.2 Abweichung von Vorgaben zu nächtlichen Geräuschwerten
Der Anlagenbetreiber kann sodann eine Abweichung von in der jeweiligen Genehmigung enthaltenen Betriebsbeschränkungen zur Einhaltung der Schallimmissionsrichtwerte zur Nachtzeit beantragen, um gem. § 31k Abs. 1 Nr. 2 BImSchG-E die Leistung einer Windenergieanlage in der Nachtzeit zu erhöhen. Maximal darf sich der Schallpegel der Anlage in dieser Zeit um maximal vier Dezibel gegenüber dem bisher genehmigten Wert erhöhen. Die Regelung ermöglicht damit keine unbeschränkte Laufleistung der jeweiligen Windenergieanlagen. Die Nachtzeit beschreibt hierbei den Zeitraum von 22 Uhr bis 6 Uhr nach Nr. 6.4. der TA Lärm.
Die Regelung setzt an den zugelassenen Emissionswerten der Anlage an. Eine Betrachtung der Immissionsgrenzwerte an den entscheidenden Immissionsorten nach TA-Lärm soll demnach nicht erforderlich sein. Die Einholung eines erneuten Schallgutachtens bedarf es daher nicht. Vielmehr dürfte ein Rückgriff auf entsprechende Herstellerangaben zu den Schallemissionswerten in diesem Zusammenhang den Anforderungen an die mit dem Antrag einzureichenden Unterlagen gem. § 31k Abs. 2 BImSchG-E genügen.
2.1.3 Abweichung von Vorgaben zur Vermeidung von Schattenwurf
Ebenso ermöglicht § 31k Abs. 1 Nr. 1 BImSchG-E eine Abweichung von in der Genehmigung enthaltenen Anforderungen an die Vermeidung optischer Immissionen der Windenergieanlage, um die Leistung einer Windenergieanlage zu erhöhen, deren Betriebszeit zur Verminderung oder Vermeidung von Schattenwurf beschränkt ist.
Beinhaltet eine Genehmigung Verpflichtungen zur Abschaltung der Anlage wegen Anforderungen an den Schattenwurf, können diese Pflichten auf Antrag demnach ausgesetzt werden.
2.2 Keine Abweichung bei gleichzeitigen artenschutzrechtlichen Abschaltungen
Die Gesetzesbegründung in der Formulierungshilfe stellt weiter klar, dass eine Abweichung nach § 31k BImSchG-E dann nicht in Frage kommt, wenn die Schattenabschaltung oder die Betriebsbeschränkung wegen Lärms zeitgleich zu Abschaltungen aufgrund des Artenschutzes erfolgen. Soweit die Windenergieanlage also nicht nur aus Gründen des Immissionsschutzes sondern auch aus Gründen des Artenschutzes abzuschalten wäre, bleibt es bei der Abschaltung zum Artenschutz.
Eine Umgehung artenschutzrechtlicher Anforderungen an den Betrieb der Windenergieanlage kann durch § 31k BImSchG-E daher nicht erfolgen.
2.3 Intendiertes Ermessen
Nach § 31k Abs. 1 BImSchG-E soll die zuständige Behörde die genannten Abweichung zulassen. Es handelt sich daher um eine Ermessensentscheidung und nicht um eine gebundene Entscheidung. Die Norm gibt allerdings ein sog. intendiertes Ermessen der Behörde („soll“) vor. Dadurch ist das von der Behörde durch Ermessenserwägung zu findende Ergebnis bereits durch eine gesetzliche Intention vorgezeichnet. Das bedeutet, dass die Abweichung im Regelfall zuzulassen ist. Eine Verweigerung der Zulassung ist auf atypische Ausnahmefälle begrenzt und löst ein gesteigertes Begründungserfordernis der Behörde aus. Denkbarer Anknüpfungspunkt einer solchen Abweichung könnten Summationseffekte bei Mehrfachanwendung der Norm sein. Wenngleich in diesem Zusammenhang zu beachten ist, dass sowohl die Norm selbst als auch die Gesetzesbegründung in der Formulierungshilfe eine Überprüfung von Immissionswerten gerade nicht verlangt.
2.4 Zeitlicher Rahmen
Nach § 31k Abs. 4 S. 2 BImSchG-E ist die Abweichung bis zum 15.04.2023 befristet. Eine dauerhafte Abänderung der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung zum Betrieb der betroffenen Windenergieanlage lässt die Regelung damit nicht zu.
2.5 Verfahrensrechtliche Regelungen
Die Abweichung nach § 31k Abs. 1 BImSchG-E ist vom Betreiber bei der zuständigen Immissionsschutzbehörde zu beantragen. Dem Antrag sind die zur Beurteilung erforderlichen Unterlagen beizufügen. Bei Abweichungen von den Emissionswerten sind dies insbesondere die Herstellerunterlagen zu den jeweiligen Schallleistungspegeln. Darüber hinaus ist weder einer Änderungsgenehmigung nach § 16 BImSchG noch einer Änderungsanzeige nach § 15 BImSchG notwendig.
Darüber hinaus regelt § 31k Abs. 3 BImSchG-E eine Zulassungsfiktion der beantragten Abweichung. Demnach gilt diese nach Ablauf eines Monats nach Eingang des Antrags als zugelassen, wenn der Antrag hinreichend bestimmt ist, sich die beantragte Abweichung auf Anforderungen an die Geräusche zur Nachtzeit oder die optische Immission beschränkt und alle weiteren Anforderungen nach § 31k Abs. 1 BImSchG-E eingehalten sind.
3. Auswirkungen auf die Praxis
Der Entwurf beschreibt derzeit noch eine Formulierungshilfe. Verbindliche Gesetzesnormen ergeben sich hieraus noch nicht. Wird das Gesetz in der derzeitigen Fassung im Bundestag beschlossen, so treten die vorgenannten Vorschriften am Tag nach der Verkündung des Gesetzes im Bundesgesetzblatt in Kraft.
Anlagenbetreiber könnten daher unmittelbar nach Inkrafttreten des Gesetzes einen entsprechenden Antrag auf Zulassung einer Abweichung gem. § 31k BImSchG-E bei der zuständigen Behörde stellen.
Bei weiteren Fragen rund um die Genehmigung der Errichtung und des Betriebs von Windenergieanlagen stehen Ihnen die Mitglieder des Kompetenzteams Erneuerbare Energien und der Praxisgruppe Öffentliches Recht gerne zur Verfügung.