Nachhaltigkeit – ein breites Querschnittsfeld, welches die heute lebenden Menschen mit der Verantwortung für zukünftige Generationen verbindet und nach dem Drei-Säulen-Modell auf den Aspekten Ökologie, Ökonomie und Soziales basiert. Es ist keineswegs ein neues Thema, doch es ist vor allem durch die Assoziation mit Klimaschutz und den Bestrebungen nach Treibhausgasneutralität längst in der Tagespresse angekommen und damit aktueller denn je. Das macht sich auch im Gebäudesektor bemerkbar. Nachhaltiges Bauen und Betreiben liegt klar im Trend und hat den Planungs- und Bauprozess in den vergangenen Jahren stark beeinflusst. „Nachhaltiges Bauen“ ist gesetzlich nicht definiert, setzt jedoch zweifellos eine nachhaltige Planung voraus. Noch ungeklärt ist, wie sich das auf die Projektsteuerung auswirkt.
Im Spannungsfeld zwischen Projektsteuerung und Nachhaltigkeitsberatung stellen sich viele Fragen, auf die es noch keine Antworten gibt. Weder hat die AHO Heft Nr. 9 das Thema bereits durchdrungen, noch existiert hier eine erprobte Handhabung in der Praxis oder gar eine verlässliche Rechtsprechung. Auch in der Literatur gibt es kaum zuverlässige Quellen, die sich bereits mit dem Thema auseinandergesetzt haben. Dieser Beitrag soll daher eine erste Hilfestellung für Projektsteuerer und Bauherrn sein.
1. Nachhaltigkeitsberatung ist nicht Bestandteil der Grundleistungen der Projektsteuerung nach AHO Heft Nr. 9
1.1 Gesetzliche Grundlagen
Klar ist zunächst: Hinsichtlich des Projektsteuerers, der für den Bauherrn grundsätzlich die Vorbereitung, Koordinierung und Überwachung eines Bauprojekts übernimmt, ist gesetzlich wenig geregelt. Während sich früher Regelungen in § 31 HOAI fanden1, ist heute allgemein die Grundlage für die Beauftragung von Projektsteuern die Leistungs- und Honorarordnung Projektmanagement in der Bau- und Immobilienwirtschaft in Heft Nr. 9 der AHO-Schriftenreihe mit der Bezeichnung „Projektmanagement in der Bau- und Immobilienwirtschaft - Standards für Leistungen und Vergütung“. Die Inhalte des AHO-Heftes Nr. 9 wurden 1996 als Marktstandard für den Einsatz von Projektsteuerern bei der Abwicklung von großen und komplexen Projekten etabliert und kontinuierlich fortentwickelt (derzeit 5. Auflage 2020).
Das AHO-Heft Nr. 9 trifft dabei keine Aussagen zur Rechtsnatur des zu schließenden Projektsteuerungsvertrages, sodass auf das BGB zurückgegriffen werden muss. Insoweit kommen zwei verschiedene Vertragstypen in Betracht. Werden etwa nur einzelne Leistungen der Koordinierung, Beratung und Kostensteuerung beauftragt, ist von einem Dienstvertrag gemäß §§ 611 ff. BGB auszugehen. Das ist aber jedenfalls bei klassischen Projektsteuerungsleistungen nach den AHO-Leistungsbildern nicht der Fall: Haben die beauftragten Leistungen betreffend der zeitgerechten und kostengünstigen Errichtung als Gesamtziel die ordnungsgemäße Bauherstellung zum Inhalt, ist das Werkvertragsrecht gem. §§ 631 ff. BGB anwendbar. Das gilt im Ergebnis auch, soweit es um Leistungen für ein konkretes Bauobjekt geht, also der Projektsteuerungsvertrag als Architekten- oder Ingenieurvertrag einzustufen ist.
1.2 Nachhaltigkeit und Leistungspflichten des Projektsteuerers
Doch weder das BGB noch das AHO-Heft Nr. 9 verhalten sich (bisher) zu Nachhaltigkeitsbewegungen. Im Rahmen eines Projektmanagements stellt allgemein die Definition der Projektziele, also vor allem Bauinhaltsziele, Kostenziele und Terminziele, den ersten Schritt der Planung dar.2 Dies geschieht grundsätzlich in der Leistungsphase 0 und ist der eigentlichen Projektsteuerung vorgeschaltet. Dabei wird im Bauwesen oftmals die DIN 18205:2016-11 („Bedarfsplanung im Bauwesen“) zur Hilfe genommen, die u.a. ein Muster zur Erstellung eines Bedarfsplans enthält. Ein solcher muss vorliegen, bevor Projektziele definiert werden können und ein Projektsteuerer beauftragt werden kann. Nach dem Leistungsbild der AHO kann ein Projektsteuerer bei seiner Beauftragung von einer Bedarfsplanung mit zumindest grob definierten Projektzielen ausgehen, hat sie also nicht ohne weiteres selbst zu erstellen. Außerhalb des AHO-Leistungsbildes ist aber mittels Auslegung zu bestimmen, ob- und inwieweit der Projektsteuerer fehlende Projektziele – Nachhaltigkeit kann eines davon sein - noch herauszuarbeiten hat.
In der Praxis am häufigsten wird als Nachhaltigkeitsziel die Zertifizierung der Nachhaltigkeit eines Gebäudes – man denke an Systeme wie DGNB, LEED, BREEAM, BNB oder HQE - zum Gegenstand einer Vertragspflicht (auch) des Projektsteuerers gemacht. Weil meist das Werkvertragsrecht Anwendung findet (s.o.), ist folglich ein Erfolg geschuldet. Allerdings gilt: Wer ein Nachhaltigkeitszertifikat erlangen will, muss mit einer entsprechenden Organisation einen Zertifizierungsvertrag schließen, wobei oft bzw. meist zwingend auch ein Auditor zu beteiligen ist.3 Regelmäßig wird es dem Auftraggeber nur auf die Zertifizierung eines bestimmten Anbieters in bestimmter Zertifizierungsstufe an sich ankommen, dagegen weniger auf die jeweilig dafür erforderlichen Zielanforderungen. Ohnehin kann nicht die Zertifizierung selbst als vertragliche Pflicht vereinbart werden (dafür ist das zertifizierende Unternehmen zuständig). Wenn also entsprechende Nachhaltigkeitsziele definiert wurden (oder u.U. erst definiert werden müssen), wirkt sich das auf die weitere Planung aus. Der Projektsteuerer hat dann die Aufgabe, den Bauprozess unter Einschluss der regelmäßig neu hinzutretenden Beteiligten (v.a. Auditor) zu steuern, damit insgesamt koordiniert zusammengearbeitet werden kann. Dies stellt dann eine Besondere Leistung des AHO-Leistungsbildes Projektsteuerung dar.4
Doch nachhaltiges Bauen beschränkt sich zum einen natürlich nicht auf die Maßnahmen oder Kriterien, die unter die klassischen Zertifizierungen fallen: Zunehmend rücken, angetrieben vor allem durch die aktuelle nationale und europäische Klimapolitik, auch schlicht allgemeine Klimaziele in den Vordergrund, etwa die Treibhausgasreduktion durch beispielsweise Cradle to Cradle-Konzepte oder die Minimierung des Energieverbrauchs – zudem gehören ferner Umwelteinflüsse und sozio-kulturelle Aspekte dazu. Und auch vor dem Hintergrund, dass die Motivation des Bauherrn für entsprechend nachhaltiges Bauen unter Umständen womöglich größtenteils in der Realisierung höherer Verkaufswerte bzw. der Einnahme höherer Mieten liegen kann (oder schlichtweg in der Möglichkeit, sich entsprechende Förderungen zu sichern), sich das Interesse dann also auf eine entsprechende Immobilienbewertung beschränkt, ist die grundsätzliche Informationsbedürftigkeit des Bauherrn offensichtlich und ein zukunftsgerichtetes Denken unausweichlich.
Zum anderen stellt sich die Frage, wer den oftmals unkundigen Bauherrn „aufschlauen“ und ihn überhaupt erst beispielsweise über Zertifizierungsmöglichkeiten aufklären soll. Wird der Projektsteuerer durch eine Ausweitung seiner Aufgaben zum Auditor? Das ist zu verneinen. Doch auch wenn der Projektsteuerer nur eine beratende Funktion einnimmt, so obliegen ihm dennoch wichtige Aufgaben. Er ist dazu verpflichtet, den Bauherrn sachgerecht zu informieren. Er muss ihm dabei aber auch bestehende Handlungsmöglichkeiten aufzeigen und diesbezügliche Risiken darstellen, sodass der Bauherr auf dieser Basis eine hinreichende Vorstellung von den Vor- und Nachteilen der jeweiligen Handlungsmöglichkeiten erhält und dann eine eigenverantwortliche Entscheidung treffen kann.5 Vor diesem Hintergrund ist allgemein das weite Themenfeld der Nachhaltigkeit auch bzw. ja gerade (auch) beim Projektsteuerer richtig angesiedelt. Dieser sollte somit Problembewusstsein entwickeln und den Bauherrn zu entsprechenden Neuerungen beraten. Insoweit kommt ihm dadurch eine neue bzw. erweiterte Rolle zu.
Allerdings müsste eine entsprechende Aufgabenerweiterung des Projektsteuerers auch auf vertraglicher Ebene erfolgen. Wenn man bedenkt, dass das AHO-Heftes Nr. 9 vom Vertragsgestalter regelmäßig als Standardleistungsbild verwendet wird, weil dieses unter anderem für Anwendungsklarheit durch einheitliche Begriffskataloge und für ein einheitliches Verständnis der Beteiligten über die Rahmenbedingungen sorgt, so ist die Notwendigkeit, nachhaltiges Bauen auf Dauer in das AHO-Leistungsbild zu integrieren, kaum mehr von der Hand zu weisen.
2. Wird ein Bauvorhaben mit Nachhaltigkeitszielen umgesetzt, schuldet der Projektsteuerer auch die Überwachung der hierzu eingesetzten Fachplaner bzw. Auditoren
Mit Blick auf potentielle Haftungsfragen ist das Spannungsverhältnis im Hinterkopf zu behalten, dass der Projektsteuerer keine Rechtsdienstleistungen an sich erbringen darf, wohl aber sog. Annexleistungen, die notwendigerweise mit der Leistungserbringung und einem technisch-wirtschaftlichen Schwerpunkt verbunden sind.
Ohnehin stellen sich wichtige Fragen im Zusammenhang mit der Haftung: Unabhängig von der rechtlichen Einordnung des Vertrages ist die Haftung vornehmlich geprägt durch den Umfang der übernommenen Pflichten (grundsätzlich gemäß den AHO-Begrifflichkeiten), d.h. es ist eine genaue Analyse der übernommenen Leistungen erforderlich.
Aber was gilt etwa, wenn der Projektsteuerer den Bauherrn in Bezug auf eine Förderungsmöglichkeit falsch berät, der Bauherr die Förderung also gerade deswegen nicht erhält? Gegenüber einem Anspruch auf Schadensersatz wegen eines Beratungsfehlers kann der Projektsteuerer jedenfalls nicht einwenden, dass sein Honorar außer Verhältnis zum übernommenen Risiko gestanden hätte.6 In jedem Fall ist es empfehlenswert, sich frühzeitig mit den Anforderungen an das immer wichtiger werdende klimaneutrale Bauen vertraut zu machen, um der kommenden Änderung der Rolle des Projektsteuerers gerecht zu werden.
3. Projektsteuerer, die sich mit Nachhaltigkeitsthemen auskennen und Bauherren qualifiziert beraten können, werden zukünftig stark nachgefragt sein
Es dürfte auf der Hand liegen, dass die Projektsteuerer, die einen Bauherrn zuverlässig im Bereich Nachhaltigkeit beraten können, in den nächsten Jahren stark nachgefragt sein werden. Dies hat – unabhängig von der generellen Relevanz des Themas – auch schlichtweg wirtschaftliche Gründe. Denn nur bei einer qualifizierten Beratung von Anfang an kann der Bauherr sicherstellen, die richtige Weichenstellung für sein Bauvorhaben zu wählen und sämtliche möglichen Fördermittel auszuschöpfen.
Was bedeutet das konkret? Der Projektsteuerer sollte sich insbesondere mit den wichtigen Zertifizierungsstrategien auseinandersetzen, d.h. einen Überblick über verschiedene Zertifizierungen haben; denn die jeweiligen Zertifizierungen weisen jeweils unterschiedliche (Mindest-) anforderungen sowie Vor- und Nachteile auf und machen jeweils nicht zwingend bei jedem Bauvorhaben Sinn. Zudem können Siegel für nachhaltige Baumaterialien, etwa das FSC-Siegel TÜV-ProfiCert oder CSC, eine Rolle spielen. Auch die verschiedenen Fördermöglichkeiten sollten stets im Blick behalten werden – etwa die kürzlich geänderte und erweiterte Förderung nach der BEG, nach der eine Förderung sowohl als Zuschuss- als auch als Kreditförderung möglich ist. Unabdingbar ist es für den Projektsteuerer, hierbei im Blick zu haben, welche Verhalten vor Antragsstellung förderschädlich sind und wodurch sich der Bauherr eine entsprechende Förderung verspielt. Allgemein ist die Baubranche durch nationale Bestrebungen zum Klimaschutz in ständiger Bewegung. Zudem sind die verschiedenen Regulatorien auf EU-Ebene zu beachten - Green Deal, Klimataxonomie, „Fit for 55“, Gebäuderichtlinie oder Energieeffizienzrichtlinie sind nur wenige wichtige Stichworte. Der Projektsteuerer sollte daher mit den wichtigsten Vorschriften vertraut sein. Das zeigt jedenfalls: Es wird sich für den Projektsteuerer künftig zwangsläufig auch eine Spezialisierungsmöglichkeit auf nachhaltiges Bauen ergeben.
Dies bietet für Projektsteuerer auch eine erhebliche Chance zur Spezialisierung und zur Abgrenzung von der Konkurrenz.
[1] § 31 HOAI wurde im Zuge der HOAI-Reform 2009 ersatzlos gestrichen, sodass Projektmanagement kein Thema der HOAI mehr ist.
[2] Vgl. zum Folgenden Eschenbruch, Projektmanagement und Projektsteuerung, Kap. 2.2, Rn. 677 ff.
[3] Vgl. hierzu Dressel, NZBau 2021, 224 ff.
[4] Eschenbruch, Projektmanagement und Projektsteuerung, Kap. 2.2, Rn. 696.
[5] Eschenbruch, in: Fuchs/Berger/Seifert, vor § 650p ff. BGB, Rn. 46.
[6] Vgl. OLG Naumburg, Urt. v. 27.05.2011, 5 U 1/11, IBR 2013, 87, Nichtannahmebeschluss des BGH v. 25.10.2012, VII ZR 158/11; so auch OLG Rostock, Beschl. v. 29.08.2013, 4 U 70/12, IBRRS 2017, 0168.