Der Bundesgerichtshof hat in einer aktuellen Entscheidung des für Insolvenzrechts zuständigen IX. Zivilsenats die Herstellung einer Aufrechnungslage durch eine insolvenzbedingte Kündigung als gläubigerbenachteiligend (§ 129 InsO) erachtet und damit eine erst durch die Kündigung ermöglichte Aufrechnung mit Gegenansprüchen für unzulässig gehalten (§ 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO).
Diese Bewertung hat erhebliche Auswirkungen auf die Möglichkeit, einem insolventen Auftragnehmer nach der Kündigung Gegenforderungen entgegenzuhalten. Im Ergebnis führt die Kündigung eines Auftraggebers, die in Kenntnis der Insolvenz erfolgt, nunmehr möglicherweise zu einer anfechtbaren Rechtshandlung, soweit die Kündigung dazu führt, dass dem insolventen Auftragnehmer die Möglichkeit genommen wird, zum Wohle der Massegläubiger die Hauptforderung (=voller Werklohn) zu verlangen und er stattdessen mit der „kleinen Kündigungsvergütung“ der bisher erbrachten Leistungen Vorlieb nehmen muss.
Für Auftraggeber sind bei Kündigungen in Kenntnis der Auftragnehmerinsolvenz daher diese Risiken im Blick zu behalten und vor der Kündigungserklärung zu berücksichtigen. Umgekehrt sollten Auftragnehmer bzw. Insolvenzverwalter bei der Geltendmachung von Restwerklohnansprüchen nach einer Kündigung dies ebenfalls beachten. Die Reichweite dieser Entscheidung ist indes noch offen, insbesondere bleibt abzuwarten, ob die Rechtsprechung zum Aufrechnungsverbot auch auf sich gegenüberstehende Ansprüche aus dem gleichen Vertragsverhältnis angewendet werden wird.
1. Sachverhalt der Entscheidung
Der Kläger begehrte als Insolvenzverwalter restlichen Werklohn. Gegenüber dieser Werklohnforderung rechnet die Beklagte mit Schadensersatzansprüchen auf Fertigstellungsmehrkosten aus einem anderen, ebenfalls nach § 8 Abs. 2 VOB/B gekündigten Vertrag zwischen den Parteien auf. Die Aufrechnungslage mit einem Kündigungsfolgen-Schadensersatz wurde also erst durch die Kündigung herbeigeführt.
Diese Konstellation dürfte grundsätzlich nicht unüblich sein, da im Fall einer Kündigung regelmäßig Restwerklohnansprüche etwaigen Schadenspositionen im Umfelde der Restfertigstellung des gekündigten Gewerks gegenüberstehen, die im Falle der gerichtlichen oder außergerichtlichen Geltendmachung im Wege der Aufrechnung geltend gemacht werden. Die Besonderheit ist in dem vom BGH entschiedenen Fall, dass es sich zwar nur um die Parteien (Kläger und Beklagte) handelte, diese jedoch zwei Verträge geschlossen haben.
Der Kläger wendet nunmehr gegenüber der Beklagten die Unzulässigkeit der Aufrechnung ein.
2. Kontext der Entscheidung
Die Rechtsprechung des BGH, namentlich des VII. Zivilsenats, schien bislang davon auszugehen, dass keine insolvenzrechtliche Gläubigerbenachteiligung vorliegt, wenn sich im gleichen Vertragsverhältnis aufgrund der Kündigung der (Rest)Werklohnanspruch und Schadensersatzpositionen gegenüberstehen (BGH, Urteil vom 23. Juni 2005 – VII ZR 197/03 –, BGHZ 163, 274-282, Rn. 26 f.). Diese Rechtsprechung des für das Werkvertragsrechts zuständigen Senats wurde in der Rechtsprechung bislang als Ausschluss der Gläubigerbenachteiligung verstanden.
3. Stellungnahme des BGH
Umso mehr sorgen nun die jüngsten Aussagen des BGH für Wirbel: Der IX. Senat hält die kündigungsbedingte Herstellung der Aufrechnungslage für gläubigerbenachteiligend und damit insolvenzrechtlich unzulässig gemäß § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO. Angeknüpft wird an die Rechtshandlung der Kündigung, die unmittelbar dazu geführt hat, dass eine Aufrechnungslage mit Gegenansprüchen – konkret gegenständlich waren hier Schadensersatzansprüche wegen Fertigstellungsmehrkosten – entsteht. Diese Herstellung der Aufrechnungslage ist gläubigerbenachteiligend.
Konkret führt der BGH in seiner Entscheidung aus: „In der Möglichkeit der Befriedigung durch Aufrechnung, welche den üblicherweise eintretenden Zufluss des Werklohns für die erbrachten Arbeiten an die haftende Masse ausschließt, wodurch die anderen Gläubiger benachteiligt werden, liegt eine objektive Gläubigerbenachteiligung“ (BGH, Urteil vom 19. Oktober 2023 – IX ZR 249/22 –, Rn. 14, juris). Zugleich wird erläuternd deutlich gemacht, dass die insolvenzrechtlichen Aufrechnungsverbote gerade nicht nach schadensrechtlichen Erwägungen, wie der Saldierung von Vor- und Nachteilen, funktionieren. Daher spiele es auch keine Rolle, dass die Kündigung für den Auftragnehmer bzw. die Insolvenzmasse partiell vorteilhaft sei – schließlich führt die Kündigung zur Fälligkeit der Werklohnforderung.
Ausschließlich wegen der Verschiedenheit des Vertrages, aus dem die Werklohnforderung stammt und des Vertrages aus dem die aufzurechnenden Gegenansprüche stammen, wurde auf die Anfrage an den VII. Zivilsenat gemäß § 132 Abs. 3 GVG verzichtet.
4. Auswirkungen und Folgen für die Praxis
Die damit offene Frage für die Instanzgerichte ist die, ob nunmehr auch bei wechselseitigen Ansprüchen aus dem gleichen Vertragsverhältnis das insolvenzrechtliche Aufrechnungsverbot greift. Diese Konstellation dürfte häufig anzutreffen sein, da im Fall der Kündigung in Kenntnis der Insolvenz regelmäßig der Restvergütungsanspruch Schadensersatzpositionen, die im Wege der Aufrechnung entgegengehalten werden, gegenüberstehen. Die Praxisrelevanz dieser Frage ist daher nicht zu unterschätzen, berührt sie letztliche jede Insolvenzkündigung eines Bauvertrages. Hierbei kommt nicht allein § 8 Abs. 3 VOB/B in Betracht, sondern ebenfalls eine Kündigung aus wichtigem Grund nach § 8 Abs. 2 VOB/B, die in Kenntnis einer Insolvenz erfolgt ist.
Wenngleich eine Entscheidung für diese Konstellation (nur ein Vertragsverhältnis) noch nicht vorliegt, stellt sich bei einem Vertragsverhältnis aus insolvenzrechtlicher Sicht das gleichgelagerte Problem einer Gläubigerbenachteiligung, die durch den Entzug des vollen Vergütungsanspruchs eintritt.
Hier bleibt abzuwarten, wie sich – der möglicherweise anzurufende Große Senat – des BGH positionieren wird.
Zugleich ist insbesondere Auftraggebern zur Vorsicht zu raten. Es droht die Gefahr, dass die Aussprache einer Kündigung im Kontext einer Insolvenz des Auftragnehmers, bereits als gläubigerbenachteiligend eingestuft werden kann, was sich wiederum nachteilig auf die der Kündigungsvergütung entgegenzuhaltenden Gegenforderungen auswirken kann.
Ansprechpartner für Fragen des Bauvertragsrechts sind u.a. Dr. Harald Pott und Dr. Daniel Weinke. Beide sind Mitglieder der Praxisgruppe Bau- und Architektenrecht.