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Update Beihilferecht: Green Deal erhält Einzug in AGVO und in den neuen Befristeten Krisen- und Transformationsrahmen

10. März 2023

Die Europäische Kommission hat am 9. März 2023 die Reform der Allgemeinen Gruppenfreistellungsverordnung (AGVO) beschlossen. Ferner hat sich die Kommission einen neuen Befristeten Krisen- und Transformationsrahmen gegeben. Beide Regelungen sind eng mit der Umsetzung der Ziele aus dem Europäischen Green Deal verbunden, aber auch mit der aktuellen Energiekrise. Wir geben einen Überblick über zentrale Neuerungen. 

1. Hintergrund der Reformen 

Eine Reform der AGVO, insbesondere im Lichte der Ziele des EU Green Deals und zur Anpassung an Änderungen sonstiger Beihilfevorschriften (Leitlinien), war schon länger geplant. Zuletzt verzögerte sich die Reform jedoch immer wieder, nicht zuletzt aufgrund akuter Maßnahmen in Bezug auf den Krieg in der Ukraine und Verzögerungen bei verbundenen Regelungen. 

Mit der Verkündung des EU Green Deals im Dezember 2019 hat sich die Kommission ambitionierte Ziele für die Senkung von Treibhausgasemissionen gesetzt. Zudem hat der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine die EU gezwungen, ihre Abhängigkeit von fossilen Energieträgern zu überdenken. Vor diesem Hintergrund hat die Kommission am 1. Februar 2023 einen Vorschlag für einen Industrieplan für den Green Deal („Green Deal Industrial Plan“) vorgelegt (siehe Pressemeldung hier).  

Die Kommission entwickelt in dem Industrieplan eine Reihe von Ideen, mit welchen Mitteln die Senkung von Treibhausgasemissionen vorangetrieben werden kann. Dabei geht sie insbesondere darauf ein, wie die Mitgliedstaaten der EU die Transformation der Wirtschaft hin zu einer CO2-neutralen Industrie unterstützen können. Dies erfordert nach Ansicht der Kommission eine Anpassung der Regelungen im EU-Beihilferecht. Anfang 2023 wurden die Mitgliedstaaten zu den Reformvorschlägen konsultiert. Die Rückmeldungen aus den Konsultationen sind in die Beschlussfassung der Kommission über die Reform der AGVO und die Verabschiedung des neuen Befristeten Krisen- und Transformationsrahmens (Temporary Crisis and Transition Framework – TCTF) eingeflossen. 

2. Reform der Allgemeinen Gruppenfreistellungsverordnung (AGVO) 

a) Welche Rolle spielt die AGVO im Beihilferecht? 

Beihilfen sind nach dem EU-Beihilferecht grundsätzlich bei der Kommission anzumelden (sog. Notifizierungspflicht, Art. 108 Abs. 3 Satz 1 AEUV). Solange eine anmeldepflichtige Beihilfe nicht von der Kommission genehmigt wurde, darf sie nicht ausgezahlt werden (sog. Durchführungsverbot, Art. 108 Abs. 3 Satz 3 AEUV). 

Die Kommission hat für einige Typen von Beihilfen („Gruppen“) festgestellt, dass diese regelmäßig keine wettbewerblichen Bedenken aufwerfen. Daher sieht die Kommission hinsichtlich dieser Gruppen kein Bedürfnis für eine Einzelfallprüfung und hat sie von der Notifizierungspflicht befreit. Die Mitgliedstaaten haben lediglich Melde- und Berichtspflichten. Für Beihilfegeber und -empfänger bedeutet das eine erhebliche Beschleunigung des Verfahrens für die Bewilligung der Förderung. 

b) Welche Änderungen hat die Europäische Kommission beschlossen? 

Mit dieser AGVO-Reform nimmt die Europäische Kommission zunächst Änderungen vor, die infolge der Fortschreibung diverser beihilferechtlicher Leitlinien, beispielsweise der Leitlinien für staatliche Klima-, Umweltschutz- und Energiebeihilfen (KUEBLL, siehe unseren Blogpost hier), erforderlich geworden waren. Bestehende Freistellungstatbestände werden dazu angepasst und neue eingeführt, z.B. zur Förderung umweltfreundlicher Mobilität und bei Wasserstoffvorhaben. 

Ferner wurden bei vielen bereits existierenden Freistellungstatbeständen die sog. Anmeldeschwellenwerte und/oder sog. Beihilfeintensitäten angehoben. Die Mitgliedstaaten erhalten damit mehr Spielraum, was nicht zuletzt der Inflation Rechnung trägt.  

Gleichzeitig wird der administrative Aufwand erhöht, indem bei mehr Einzelbeihilfen eine gesonderte Veröffentlichungspflicht besteht. Während der Schwellenwert bisher bei EUR 500.000 lag, müssen künftig in der Regel bereits Beihilfen in Höhe von EUR 100.000 veröffentlicht werden. Diese Verschärfung soll der Transparenz dienen, wird aber von den Mitgliedstaaten wegen der zusätzlichen Belastung kritisch gesehen. 

Einige Änderungen der AGVO sind auf den Ukraine-Krieg und die Energiekrise zurückzuführen. Dazu zählt die Freistellung von Beihilfemaßnahmen der Mitgliedstaaten zur Regulierung der Energiepreise (z.B. Preisobergrenzen für Strom, Gas und aus Erdgas oder Strom erzeugte Wärme).  

Last but not least: Die AGVO, die eigentlich Ende 2023 ausgelaufen wäre, wird zudem bis zum 31.12.2026 verlängert. Damit besteht für die kommenden Jahre Rechtssicherheit.  

3. Neuer Befristeter Krisen- und Transformationsrahmens (Temporary Crisis and Transition Framework) 

a) Welche Rolle spielt der Befristete Krisen- und Transformationsrahmens? 

In dem Befristete Krisen- und Transformationsrahmens legt die Europäische Kommission Kriterien fest, anhand derer sie Beihilfemaßnahmen der Mitgliedstaaten prüft. Für diese Zwecke gibt sie für verschiedene typische Beihilfemaßnahmen einen Kriterienkatalog an die Hand. Werden die Kriterien von den Mitgliedstaaten erfüllt, können sie davon ausgehen, dass die Europäische Kommission die Beihilfe genehmigen wird. Erst danach dürfen die Mitgliedstaaten die Beihilfen gewähren.  

b) Welche Änderungen hat die Europäische Kommission beschlossen? 

Der neue Rahmen knüpft an den bestehenden Befristeten Krisenrahmen an, der besondere Regelungen über die Beihilfengewährung zur Abmilderung der wirtschaftlichen Folgen des Ukraine-Kriegs trifft. Während der bisherige Rahmen den Mitgliedstaaten – vereinfacht gesprochen – erlauben sollte, „Brände zu löschen“, soll künftig mehr Raum für eine gezielte Förderung von Transformationsprozessen (z.B. Dekarbonisierung industrieller Produktionsprozesse, um die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen rasch zu verringern) bestehen. Dies schlägt sich auch darin nieder, dass die die Transformationsmaßnahmen betreffenden Regelungen bis Ende 2025 gelten sollen. Die „Krisenregelungen“ laufen dagegen (vorerst) nur bis Ende 2023. 

Die Kommission legt damit einen Rahmen vor, aus dem sich Maßnahmen zur Beschleunigung von Investitionen in Schlüsselsektoren für den Übergang zu einer klimaneutralen Wirtschaft ergeben. Zu dieser „strategischen Ausrüstung“ gehören Batterien, Solarpaneele, Windturbinen, Wärmepumpen, Elektrolyseure und Ausrüstung für die Abscheidung, Nutzung und Speicherung von CO2 (CCUS) wie auch Schlüsselkomponenten, die als direkter Input für die Herstellung dieser Ausrüstung konzipiert wurden und primär als solcher verwendet werden. 

Sollte ein Unternehmen finanzielle Anreize haben, seine Produktionsanlagen für diese „strategische Ausrüstung“ außerhalb des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR) anzusiedeln, haben die Mitgliedstaaten die Möglichkeit, ein finanzielles Gegenangebot zu unterbreiten („matching“ der Finanzierungslücke). Mit dieser Neuregelung reagiert die Kommission insbesondere auf den US-amerikanischen Inflation Reduction Act (IRA) vom Sommer 2022, dessen Einführung die Sorge geschürt hatte, dass die für die Umsetzung der Ziele des Green Deal erforderlichen Hersteller ihre Produktionsstätten in die USA verlagern.  

 

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